Totenfotografie – darf Kunst alles und ist der Tod ein Tabuthema?

Eine Katze liegt mumifiziert auf einem Fensterbrett in einem verlassenen Ort. Fast friedlich und behütet, so scheint es, liegt sie dort. Darf man solch ein Bild der Öffentlichkeit zeigen?

Für mich persönlich gilt in diesem Zusammenhang: Ja, das darf man!

Der Grund dafür sind die Umstände und die Umgebung. Ein altes, verlassene Haus, was selbst dem Verfall überlassen wurde, enthält ein verstorbenes Tier, was sich nun ebenso in einem natürlichen Verfall befindet. Als hätten sich beide verabredet zu einem gemeinsamen Vergehen, während das alte Gebäude dem verendeten Tier eine Ruhestätte anbot.

Eine gemeinsame Verschmelzung aus Verfall und Ästhetik, die einen künstlerischen Anspruch darbietet und deshalb auch oft in der Lost-Place-Fotografie auftaucht. Dort ist diese Form der Präsentation allgegenwärtig und akzeptabel.

Im gröberen Sinn zeigt solch ein Bild natürlich auch ein Tier, dass in unserer Gesellschaft einen großen Stellenwert hat. Die Stubentiger, verschmust, aber auch gleichgültig, sind heutzutage aus vielen Familien und bei alleinstehenden Menschen nicht wegzudenken. Wie viele andere Haustiere, sind sie integrierte Familienmitglieder, spenden Trost und Wärme und werden beim Ableben nicht selten betrauert wie nahestehende Menschen selbst.

Und auch an solch einem Ort würde mir es nicht im Traum einfallen, eine mumifizierte Leiche eines Menschen abzulichten und zu zeigen. Jetzt steht natürlich eine Frage im Raum, die aber gar nicht so schwer zu beantworten ist. Warum ist es mir bei einer Katze egal und bei einem Menschen nicht? Ist die Katze irgendwie minderwertiger anzusehen, als ein Mensch?

Eine drapierte tote Katze in einem Lost Place

Als Katzen und Hundebesitzer kann ich das nur verneinen. Auf keinen Fall ist die Katze, oder überhaupt ein anderes Lebewesen, als minderwertiger anzusehen. Ein Erklärungsversuch wäre, dass tote Tiere ja irgendwie fast allgegenwärtig sind. Wie oft sehen wir tote Tiere am Straßenrand liegen? Wer mit dem Auto früh eine weitere Strecke auf die Arbeit fährt, dem wird es regelmäßig auffallen und es ist vielleicht sogar nichts Besonderes mehr.

Katzen legen uns selbst tote Mäuse und Vögel vor die Füße. In ihrem Wesen wird der Tod ganz anders gesehen und die Jagd ist tief in ihren Genen verankert und das Töten löst in ihnen sogar Glücksgefühle aus. Der Schmusetiger ein kaltblütiger Mörder? Irgendwie völlig normal, oder?

Nein, natürlich ist der Schmusetiger kein kaltblütiger Mörder. Er folgt seinem Instinkt. Einen Instinkt, der für das Überleben in der Natur notwendig wäre, um zu überleben. Mutter Natur hat sich dabei etwas gedacht. Jagen muss Spaß machen, weshalb auch die Ausschüttung von Hormonen bei erfolgreicher Jagd in Gang gesetzt wird. Es wird zum Spiel, weshalb die Katze gern mit ihrer Beute freudige Spielchen vorführt. Und finden wir das irgendwie moralisch bedenklich?

Anders sieht es mit der Jagd durch Mensch und Wolf aus. Beim Wolf wird es noch eher differenziert, ist er ja ein wildes Tier und wie die Katze durch Instinkte geprägt. Die Frage, die mich hier beschäftigt ist, ob wir Menschen diesem Instinkt immer noch innehaben? Biologisch gesehen war die Jagd ebenso notwendig für das Überleben der Menschheit. Wir haben diese womöglich durch den Supermarkt ersetzt, weil es moralisch einfacher ist, den Tod eines Lebewesens zu verarbeiten und es sich besser verkaufen lässt. Heute werden diese Differenzen heftig diskutiert. Daraus entstanden auch die Debatten um den Vegetarismus und dem Fleischkonsum im allgemeinen, wobei dieses Thema oft wenig von beiden Seiten differenziert diskutiert wird.

Der Tod ist im Kreislauf des Lebens integriert und so normal wie die Geburt

Auf ausgiebigen Spaziergängen im Wald bin ich nicht selten auf verendete Tiere gestoßen. Während ich mir bei überfahrenen Tieren noch meine Gedanken mache, ist es im Wald, oder wie hier an einem verlassenen Ort, ein natürlicher Kreislauf, dem wir allen unterworfen sind. Mit dem Unterschied, dass wir Menschen es untereinander anders behandeln und gern verstecken und vermeiden, uns mit dem Tod auseinanderzusetzen. Was ich selbst natürlich nachvollziehen kann, auch wenn wir uns dahingehend oft widersprechen, siehe dem Wolf, der sich eigentlich einfach nur an der Theke mörderisch selbst bedient, so wie wir es ebenso tun. Aber nur weil er nicht bezahlt, wird er als Eindringling und kaltblütiger Mörder als Konkurrent abgehandelt. Eigentlich völlig grotesk.

Im Internet werden z.b. auch überfahrene Katzen in Vermissten-Gruppen fotografiert und gezeigt. Eine Form, die ich nicht unbedingt befürworte, da Katzen in ihrem Aussehen sich in diesem Stadium doch extrem ähneln und große Missverständnisse aufkommen können. Natürlich verstehe ich den Hintergrund dieser Totenfotografie, aber es wirkt halt so, als wäre dieses Thema völlig normal, während es woanders grob undifferenziert kritisiert wird.

Post-mortem-Fotografie im viktorianischem Zeitalter und danach

Im viktorianischen Zeitalter hingegen war das Fotografieren von Verstorbenen kein großes Tabu und sogar gängige Praxis. Diese Fotos wurden sogar im Haus aufgestellt, oder in einer Brosche mit sich herumgetragen. Vor allem das Ablichten von Kindern war für viele Eltern normal und gehörte zur Trauerbewältigung dazu. Mit dem Aufkommen der Fotografie und deren billigeren Variante etwas abzulichten, lag der Hintergrund aber auch darin, überhaupt ein Foto von seinem geliebten Menschen zu besitzen, da es vorher überhaupt nicht möglich war, oder eben zu teuer und aufwendig, die gesamte Familie in einer Malerei festzuhalten.

Die Verstorbenen sollten dabei jedoch oft nicht als solche dargestellt werden. Sie wurden so drapiert, dass sie lebendig auf diesen Fotos wirkten.

Wenn wir uns jetzt überlegen, dass im Jahre 1928 noch tote Menschen in München zu Fotografen gefahren wurden und die Totenfotografie in den Vereinigten Staaten bis 1960 nicht ungewöhnlich war, warum ist der Tod heutzutage solch ein Tabuthema? Und ist dieses Tabuthema vielleicht viel abwertender den Toten gegenüber und für Trauernde viel schlimmer, als eine offene Thematisierung?

Sternenkinder

Ein großes Tabuthema stellten bis in die 80er Jahre vor allem Fehlgeburten dar. So wurde Müttern ohne zu fragen die Totgeburt weggenommen und im Klinikmüll entsorgt. Es wurde angenommen, eine Sichtung, oder gar Berührung des toten Kindes, würde die Mutter noch mehr traumatisieren. Danach wurden die Leichname und Föten ernsthaft an Unternehmen gegeben, die diese zu Granulat verarbeiteten, welcher im Straßenbau verwendet wurde.

Heute wird zum Glück mit diesem Thema anders umgegangen und Mütter können selbst entscheiden. Die sogenannte Sternenkindfotografie hat in den letzten Jahrzehnten immer mehr Interessenten gewonnen und auch Orte der Trauer sind auf Friedhöfen für Ungeborene möglich.

Tote Tiere in verlassenen Orten

Zum Abschluss möchte ich noch einmal auf unsere Touren durch verlassene Gebäude zurückkommen, weil hier diese Art der Fotografie als eigentliches Stilmittel sehr oft vorkommt. Sie werden hier teilweise sogar extra drapiert und eben in Fotos integriert. Hier passt jedoch auch die Gegebenheit und Beziehung des künstlerischen Ausdrucks, da, wie schon erwähnt, der Verfall als Kunstausdruck sowieso vorrangig ist.

Und diese Art von Fotos kommen gar nicht so selten vor. Der größte Anteil von toten Tieren beinhalten hier aber Vögel, die sich in verlassenen Gebäuden verirren und den Ausgang nicht mehr finden. Es gab auch schon den Fall, dass wir vor einem verlassenen Gebäude standen, in dem für uns Menschen kein hereinkommen war, sich aber innen am Fenster eine Blaumeise befand, die wie wild herumflatterte und nicht rauskam, weil sie irgendwie zwischen die alten Doppelfenster geraten war. Es war das erste Mal, dass wir an einem Lost Place etwas kaputt gemacht haben. Doch es waren zum Glück wie erwähnt alte Doppelfenster und ich habe mit einem Stein nur ein kleines Quadrat Fensterscheibe kaputt gemacht. Die Blaumeise hat das sehr gefreut.

Vielen Dank an Euch für den Besuch meiner Webseite und dem Lesen des Artikels.

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One thought on “Totenfotografie – darf Kunst alles und ist der Tod ein Tabuthema?

  1. Fürwahr, es ist ein brisantes Thema der Sepulkralkultur, was Du hier angesprochen hast. Ich selbst habe da keine Berührungsängste, denn der Tod gehört zum Leben. Ein respektvoller Umgang mit Verstorbenen, egal ob Mensch oder Tier, sollte dabei aber unbedingt und stets im Vordergrund stehen. Wenn ein von den Angehörigen bestellter Fotograf einige Fotos von der Trauerfeier am offenen Sarg machen soll, dann ist das eine rein familiäre Angelegenheit. Und wenn dabei der Fotograf pietätvoll und diskret, also mehr im Hintergrund arbeitet, ist das auch völlig ok. Früher wurden von Verstorbenen sogar Totenmasken abgenommen. Ich will damit sagen, auch die Berührung eines Verstorbenen, ist gut möglich, doch respektvoll muss es schon sein. Gruß von Reiner oder Numismatikus vom Triebischtaler

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