Der Tag begann ruhig. Die Planung für einen Fotoausflug war wie immer wetterabhängig. Es sollte ja stürmisch und regnerisch werden. Eine Kombination, die zum fotografieren eher hinderlich ist. Doch das Wetterradar zeigte in den kommenden Stunden keinen Regen an, also beschloss ich, eine Tour Richtung Miltitz zu wagen. Erster Halt sollte die Neidmühle bei Robschütz sein. Von dort sollte es weiter bis zum Esskastanienhain und Rittergut Miltitz gehen. Danach kam es auf die Uhrzeit an, denn Busse fahren hier am Wochenende nicht viele und ich musste mich eben danach richten.
Zehn nach Elf ging es heute erst los. Vom Busbahnhof Meißen mit der Linie 418 Rüsseina über Miltitz und Nossen. Der Busfahrer hatte keine Ahnung von den eigenen Tarifzonen und wollte mir 4.30 Euro abknöpfen. Ich sagte:“Zwei Zonen bis Abzweig Luga?“ – Er war sich selbst unsicher und holte den Tarifzonenplan heraus, dem ich mich ebenfalls vorher am Busbahnhof ausgiebig gewidmet habe. Wissen ist eben Macht, zumindest in dem Fall. Er legt den Plan weg und die Anzeige 4,30 Euro verwandelt sich in 2,20 Euro.
Die Busfahrt ist ruhig und angenehm. Ich beobachte den Busfahrer im Rückspiegel. Der Kerl scheint müde und gähnt so vor sich hin. Trotzdem scheint er mit dem Bus wie verschmolzen. Er lenkt das Teil perfekt um Fahrradfahrer und parkende Autos herum und seine Bewegungen passen sich dem Bus elegant an. Ein Genie seiner Zunft. So muss das sein.
Die Neidmühle bei Robschütz
Ich steige Abzweig Luga aus und begebe mich an der Straße entlang Richtung Neidmühle. Der Besuch hat einen Grund. Oma und Opa haben hier lange gewohnt. Demnach ist meine Mutter hier aufgewachsen und auch ich habe ebenfalls einen Großteil meiner Kindheit hier verbracht und viele Abenteuer erlebt. Ich kenne mich demnach hier in der Gegend bestens aus. Mit Opa ging es fast täglich in die Natur. Entweder zum wandern oder Pilze suchen. Im großen Hof der Mühle wurde immer gebäbbelt. Entweder allein gegen das große Tor des alten Pferdestalls oder eben mit Opa. Fußballspielen heißt hier in Sachsen auf sächsisch bäbbeln, nur falls sich jemand wundern sollte.
Heute gehört das Gelände der Denkmal-Pflege und Naturstein Voigt. Zum Mühlentag kann die alte Neidmühle, zumindest was davon übrig ist, besichtigt werden. Der Wohnraum von dem ehemaligen Mühlenbesitzer Kirchner ist in eine Art Museum umgestaltet wurden. Herr und Frau Kirchner waren damals die Nachbarn von Oma und Opa.
Edelkastanienhain und Rittergut Miltitz
Die nächste Station ist der Esskastanienhain und das alte Rittergut in Miltitz. Ich mache mich also von der Neidmühle an der Talstraße entlang auf den Weg bis nach Miltitz und biege dort rechts in den Wiesengrund auf den Wanderweg in Richtung Esskastanienhain ab.
Am Feld treffe ich einen älteren Herrn, der mich kurz fragt, was man denn bei diesem Wetter so fotografiert. Ich antworte:“Gebäude und Landschaft“ – der alte Mann kommt ins schwärmen: „Viele wissen gar nicht, wie schön unsere Landschaft hier eigentlich ist“ – „Deswegen bin ich ja da, alter Mann.“ So habe ich das natürlich nicht gesagt, aber gedacht. Ich erzählte ihm von Facebook und meiner Internetseite. „Ach, dieses ganze Zeug. Ich habe seit paar Monaten kein Handy mehr“ – Ich erwiderte, dass meins auch seit paar Wochen aus ist. Ich würde Abends kurz vorm Schlafengehen jetzt nicht mehr Facebook durchstöbern, sondern wieder Bücher lesen. Der alte Mann lacht und sagt: „ Ja, ich auch und zwar Joachim Fuchsberger – Altwerden ist nichts für Feiglinge.“ Das Buch passt perfekt zum eigentlich gar nicht alten Mann, der wie ein Jungspund mit seinen Rechen über die Wiese fegt. Ich wünsche dem netten, gar nicht so alten Mann einen schönen Tag und drücke ihm dabei eine Postkarte von mir in die Hand.
Ich gehe weiter vorbei an einem alten Bergbaugebiet, an dessen Umzäunung überall Warnschilder prangern, die auf Einbruchs- und Lebensgefahr hinweisen. Nach diesem Abschnitt ist schon der alte miltitzer Esskastanienhain und ein Teil des Ritterguts zu sehen. Ich bin sehr gespannt. Es ist Jahrzehnte her, als ich das letzte Mal hier war.
Links vom Eingang des Esskastanienhains ein Mahnmal: „Hier ruhen 17 KZ-Häftlinge, die kurz vor der Befreiung durch den Faschismus im Lager Miltitz ermordet wurden.“. Das Lager war wohl das damals stillgelegte Kalkbergwerk in Miltitz, wo zum Ende des 2. Weltkrieges ein Benzinwerk entstehen sollte. Zum heutigen Schaubergwerk kommen wir später.
Der Esskastanienhain
Den Esskastanienhain in Miltitz kenne ich ebenfalls aus meiner Kindheit. Oma zog nach dem Ableben von Opa natürlich aus der abgelegenen Neidmühle aus. Ihr nächster Wohnort sollte Miltitz sein. Und so kam es dann auch. Die Wochenenden und viele Ferientage wurden nun nicht mehr in der Neidmühle verbracht, sondern in Miltitz. Hier wurde dann im Sommer das Miltitzer Jahnbad besucht und im Herbst zur Esskastanienzeit eben der Esskastanienhain.
Der Wind fegt heute sehr stark durch die alten, knorrigen Äste der Esskastanienbäume. Auf hundert Jahre schätzt man einige. Es ist ein enormer Lärm. Aber kein störender. Natürlicher Lärm ist für unsere Sinne wohl angenehmer. Die Bäume sind schon kurios und haben beeindruckende Wuchsformen angenommen. Einige scheinen wie ein Gewinde gedreht, als sie in die Höhe wuchsen. Es ist ein sehr entspannender Ort. Eichhörnchen sind hier einige unterwegs. Kein Wunder, liegt der Boden doch immer noch voll mit Esskastanien. Hier gibt es Nahrung im Überfluss, selbst im Winter. Direkt neben dem Hain steht die Dorfkirche und der örtliche Friedhof.
Ich nähere mich dem Rittergut und stolpere kurz davor über Schneeglöckchen, bei denen teilweise schon die Blüten raus gucken. Ich Knie mich ins einigermaßen trockene Laub und mache Fotos von den frühen Frühlingsboten, als ich im rechten Augenwinkel etwas seltsames im Dreck entdecke.
Das Rittergut Miltitz
Die schönen Schneeglöckchen werden schnell uninteressant. Da im Dreck liegt irgendetwas metallartiges, was mich vorerst an eine Art Medaillon erinnert. Bei näherer Betrachtung sind sogar Buchstaben erkennbar. Es ist ziemlich schwer. Ich packe das Stück in meine Jackentasche, um es zu Hause genauer zu untersuchen.
Beim fotografieren des Rittergutes Miltitz, muss ich immer wieder an das gefundene Stück denken und krame es auch öfters aus der Jackentasche hervor, um vielleicht doch noch irgendetwas darauf erkennen zu können. Ist darauf etwa ein Wappen zu sehen? Gehörte es vielleicht zum Rittergut, welches einst zum Adelsgeschlecht Miltitz gehörte? Jene Familie, die Schloss Scharfenberg, Siebeneichen und auch das Wasserschloss Oberau einst unter ihre Fittiche hatten? Ich schaue nun noch mal genauer hin und erkenne die Buchstaben ..EISS… – der Rest scheint irgendwie zerdrückt. Zerdrückt? Eine Bleiplombe? Na gut, die gibt es ja noch heute, aber diese scheint etwas älter und das …EISS… könnte Meissen heißen. Es gab ja damals Warenplomben, die die Ware qualitativ und im Gewicht beschrieben, sodass sich keiner unterwegs am guten Mehl vergreifen konnte. Genau so wie heute eine Sicherungs-Plombe an den Stromkasten angebracht wird, wenn der Strom nicht bezahlt wurde. Die Furkert-Bartsch-Mühle in Miltitz unterstand damals dem Rittergut, wodurch ein Zusammenhang bestehen könnte. Falls jemand von euch weiß, was das genau ist, kann er ja hier in den Kommentaren schreiben.
Das Rittergut selbst ist zum Teil in einem sehr schlechten Zustand mit Einsturzgefahr. Es gibt einen kleinen sanierten Teil, der sogar bewohnt ist und einen Teil, der eben an einen Altbau erinnert und im Internet als einstiges Schloss Miltitz betitelt wird, was nach einer Inschrift über einem Türrelief mit 1663 datiert ist. Dennoch ist es eine sehr schöne Anlage in einem urigen Zustand. Lassen wir daher lieber Bilder sprechen.
Die Furkert-Bartsch-Mühle
Nach dem ausgiebigen Aufenthalt im Kastanienhain und dem Rittergut, hatte ich noch ein wenig Zeit, bis der Bus nach Meißen zurück fuhr. Aller zwei Stunden fahren diese am Wochenende, weshalb man sich, falls zu Fuß unterwegs, schon ein wenig danach richten sollte. Da die nächste Haltestelle direkt an der Furkert-Bartsch-Mühle (heute Mühle Miltitz Alexander Bartsch) liegt, hab ich von dort natürlich ein paar Aufnahmen mitgebracht.
Mir taten die Füße nun schon etwas weh. Es sollte noch eine halbe Stunde dauern, bis der Bus kommt. Ich beschloss, von der Mühle Miltitz das kleine Bahngässchen bis zur nächsten Bushaltestelle zu nehmen, die bekanntlich am alten Bahnhof liegt. Den wollte ich mir noch ansehen und ein paar Fotos machen. Er wird ja seit Dezember 2015 nicht mehr bedient.
Unverhoffter Besuch im Kalkbergwerk Miltitz
Ich komme am Kalkbergwerk Miltitz vorbei. Dort stehen einige Autos und daneben liegt Taucherausrüstung. Ich wage einen genaueren Blick. Eine Legende zum Besucherbergwerk liegt hinter dem offenen Zaun, der aber mit dem Hinweis versehen ist: „Betreten verboten“. Ich gehe trotzdem hinein. Natürlich nur, um mir die Infos am Eingang zum Kalkbergwerk anzusehen. Ein Mann mit Vollbart und Helm kommt aus dem Bergwerk: „Na, Lust auf ein paar Bilder?“ -“Wie könnte ich das ablehnen?“. Wir unterhalten uns ein wenig. Wir merken schnell, dass wir dieselben Interessen pflegen. Natur, Geologie, Fotos und so weiter. Eben so richtige Naturburschen.
Holger Sickmann, der im Kalkbergwerk Miltitz Führungen macht, nimmt mich mit ins Bergwerk und ich bekomme eine kleine Führung und einen interessanten Einblick. Schon wahnsinn, was der alles über das Kalkbergwerk weiß. Ich kann eigentlich nur jeden empfehlen, hier eine Führung mitzumachen. Jeden Sonntag oder in Absprache finden diese statt. Hier geht es zur Webseite: Klick. Ein paar Impressionen aus dem Kalkbergwerk Miltitz habe ich euch natürlich mitgebracht. Und hier noch Mal ein großes Dankeschön an Holger Sickmann!
Alter Bahnhof Miltitz-Roitzschen
Nun hab ich natürlich den Bus verpasst und muss zwei Stunden auf den nächsten warten. Aber was solls. Das Kalkbergwerk und Holgers Wissen waren einfach zu interessant. Nun habe ich ja genug Zeit für den Alten Bahnhof Miltitz-Roitzschen.
Was für ein Ort. Hier scheint die Zeit stehen geblieben. Bis auf die Beleuchtung hat sich hier lange nichts geändert und die einsame Stille hat nichts damit zu tun, dass der Bahnhof und die Strecke im Personenverkehr still gelegt wurde. Das ist hier schon immer so. Die Strecke Meißen – Nossen – Döbeln war schon schön, aber eben wenig frequentiert. Man kann die Bahn schon verstehen, auch wenn viele dagegen protestierten. Den Protest kann ich wiederum auch gut verstehen. Schon immer wurde die Strecke wenig befahren und plötzlich geht es nicht mehr? Alles was einst irgendwie ging und nie Problem war, ist heute plötzlich ein Problem.
Wenn Opa wüsste, dass diese Strecke eingestellt wurde, der würde sich im Grab umdrehen und fragen: „Wo ist plötzlich das Problem, wollt ihr mich veralbern? Aber das Problem wäre schnell erklärt. Opa, hör zu, auch wenn du es nicht mehr hören kannst: Alles was nicht effektiv und gewinnbringend ist, muss weg. Wie der Arbeiter, der zu alt geworden ist oder nicht die gewünschte Leistung erbringt, oder einfach zu teuer ist. Da hier die Bahn keinen Praktikanten oder anderweitig Geringqualifizierten einstellen kann, weil dadurch trotzdem nicht mehr Fahrgäste einsteigen, wird eben die Strecke still gelegt. So einfach ist das. Ich verabschiede mich noch mal von Opa und dem alten Bahnhof Miltitz-Roitzschen und mache mich auf den Heimweg.
Letztes Fotos: Alter Gasthof Robschütz
Ich beschließe, so lange an der Talstraße Richtung Meißen zu laufen, bis ich nicht mehr allzu lang auf den Bus warten muss. So komme ich nun noch mal an der Neidmühle vorbei und auch an der Haltestelle, an der ich ausgestiegen bin. Abzweig Luga. Nicht weit von hier wurde Annelie am 13. August 2015 entführt und später grausam ermordet. Was für Menschen müssen das sein, die einem so jungen Menschen so etwas antun? Ich denke nicht weiter drüber nach. Die Antwort werde ich wohl nie erfahren und auch nicht begreifen, falls mir jemand diese Frage beantworten kann.
Ich komme nach Robschütz und überlege, ob ich hier an der Haltestelle Schluss mache. Vorher hatte ich noch ein Bild vom alten Gasthof Robchütz gemacht. Noch 40 Minuten bis der Bus kommt. Ich packe die Kamera ein, hole einen Apfel raus und laufe noch bis Semmelsberg. Dort setzte ich mich auf die Bank, schaue die Fotos durch und denke: „Was für ein Tag!“
Artwork
Hallo Mario Gast,
ich bin soeben auf Ihre Webseite gestoßen und mir den Erlebnisbericht Triebischtal/Neidmühle zu Gemüte geführt.
Er hat mir gut gefallen. Ich bin der Enkel von Elfriede und Johannes Kirchner, der Sohn von Christian Kirchner und habe viele Urlaubsbesuche in der Neidmühle verbracht ( wegen dem hohen Zwangsumtausch nie sehr lange) in der Zeit von ca. 1975 bis Mitte der 1990er Jahre.
Allerdings kommt mir Ihr Name nicht so bekannt vor. Ich kannte die 3 Mosts und einige Thaus, Elfriede Henker, und vom Sehen die Nachbarn vom Nachbarhaus hinter dem Gallenbach, deren Namen mir gerade entfallen ist.
Vielleicht können Sie mir ja dazu ein wenig Licht ins Dunkel bringen.
Liebe Grüße,
Thomas Kirchner
Hallo Herr Kirchner
Meine Mutter, eine Thau, hat geheiratet und dadurch ist der Name Gast Ihnen sicher kein Begriff. Sicher sind wir uns dort mal begegnet. Im Hof wurde immer viel Fußball gespielt. In den Sommermonaten wurden die Plastewannen zum baden für die Kinder im Hof aufgestellt.
Das Nachbarhaus hinter dem Gallenbach war mir auch immer sehr unscheinbar. Außer der große Bernhardiner, der mit einem tiefen Bellen auf sich aufmerksam machte. Es war eine schöne Zeit dort als Kind. LG
Hallo Herr Gast,
Ihre Fotos, die ich bisher auf verschiedenen Seiten im Internet entdeckt habe, gefallen mir sehr!
Sie zeugen von meisterhaftem Können und Herzensbildung. Die Motive sind traumhaft. Ich gestehe, manche habe ich (nur so für mich) schon zu kleinen Aquarellen umgewandelt.
Da ich zur Zeit das Brotbacken für mich entdeckt habe, gibt es eine Verbindung zur Mühle Miltitz und von da zum beschriebenen Maronenhain. Und so habe ich im Internet diese Seite gefunden.
Ihr Schreibstil ist herzerfrischend und Ihre Ansichten über die Dinge des Lebens sind auch meine.
Ich wünsche Ihnen noch viele schöne Motive und vor allem viel Gesundheit!
Es grüßt Sie ganz herzlich Gudrun Meurers aus Weinböhla.