Verlassene Orte sind keine Schandflecke!

Kunst und Geschichte verfallen

Immer wieder ist in den Medien von Schandflecken die Rede, wenn es um alte und verlassene Gebäude geht. Bei alten Blockbauten aus DDR-Zeiten kann ich zum Teil zustimmen, aber die müssen nicht mal verfallen oder verlassen sein, weil sie in ihrer Architektur schon schlimm aussehen. Nicht alle, aber ich bekomme immer wieder Gänsehaut, wenn ich die vielen Plattenbauten zu Gesicht bekomme, auch wenn diese seit einer Weile bunt gestaltet werden und nicht mehr ganz so grau daher schauen. Sie wirken aber auf mich wie Käfige und die Balkone sind kleine Aussparungen wie in der Käfigtierhaltung.

Und dennoch. Für den Verfall eines Gebäudes ist nicht das Haus verantwortlich, sondern der Inhaber. Ein Gebäude kann nicht in den Baumarkt gehen und sich neue Ersatzteile besorgen. Wenn es sich bei dem Gebäude noch um ein Denkmal geschütztes Objekt handelt, ist der Begriff Schandfleck auf jeden Fall völlig fehl am Platz.

Sieht so ein Schandfleck aus?

Diese „Bruchbuden und Schandflecke“ waren einst imposante Gebäude mit einer zum Teil Jahrhundert langen Geschichte. Handwerkskunst und die Liebe zum Detail wurde, oder besser gesagt, konnte noch nicht in Kosten/Nutzung kalkuliert werden, was sie heute leider so unattraktiv macht. Daher denke ich, sind heutzutage viele Häuser und öffentliche Gebäude nur noch Objekte, die der Nützlichkeit dienen, ohne groß Anspruch an Wert, Stil und Ästhetik zu legen, um den Kostenfaktor für die Instandhaltung niedrig zu halten. Und vielleicht ist die Wertschätzung genau der Punkt, der uns schnell den Begriff Schandfleck äußern lässt.

Denn etwas wertschätzen bedeutet, es zu pflegen und zu erhalten. Wer etwas in seinem Wert nicht schätzt, dem sind diese Dinge auch egal und am Ende wird aus einem schönen Gebäude schnell ein wertloses Objekt. Wer den Begriff Schandfelck benutzt, gerade wenn es Medien tun, setzt die Messlatte der Wertschätzung ganz niedrig und befeuert eine geringe Wertschätzung für alte Gebäude. Wie dann mit ihnen umgegangen wird, sehen wir an vielen Beispielen.

Gerade die Urbexer Szene muss sich hier immer wieder von mir Kritik gefallen lassen. Um Wertschätzung der alten Gebäude geht es dort schon lange nicht mehr. Ich will nicht alle in einen Topf werfen, aber was ich so in den sozialen Medien mitbekomme, so besteht ein großer Teil darin, Trophäen zu sammeln. Ich muss unbedingt überall rein, koste es, was es wolle, aber Hauptsache es ist umsonst und kostet nichts. Wie eine Reisegruppe, die in drei Wochen ganz Europa bereist, mit dem Bus zu jeder Sehenswürdigkeit gefahren wird und am Ende glaubt, Land und Leute kennengelernt zu haben.

Die Wertschätzung ist auch hier oft sehr gering. So überfluten dann viele Handyfotos das Netz, die ebenfalls wenig Stil und Ästhetik vermuten lassen. Der Anspruch, sich mit dem Gebäude auseinanderzusetzen, seine Vergangenheit und Geschichte mit einzubeziehen, zu fühlen und dann zum Ausdruck zu bringen, wird wie am Fließband abgearbeitet. Was Fließbänder produzieren, ist jedem bewusst. Einheitliche Produkte ohne individuellem Charme und Ästhetik, so wie unsere heutigen Fertigteilhäuser, die nur Objekte zur reinen Funktionalität darstellen, aber eben praktisch sind und wenig Aufwand bedeuten, weil es Zeit und Kosten spart.

Die Werbebranche zeigt uns immer lachende und fröhliche Gesichter. Glatt gebügelt und ohne Falten. Reine Haut ohne Struktur und Lebenslinien. So wie die Fassade eines alten Hauses, wird mit billiger Kosmetik jede Lebenslinie verspachtelt und verputzt, damit das Altern nicht zum Vorschein kommt. Am Ende haben wir viele Häuser, die zwar alt sind, aber von außen doch einheitlich wie alle anderen wirken. Manchmal reicht aber ein Blick in das Innere, oder auf ein Foto von damals, welche Schönheit und Eleganz von diesem „Schandfleck“ ausging und das die Falten des Lebens ganz gut zu ihm stehen. Das diese Unebenheiten eine Geschichte erzählen und die Schönheit des Alterns durch Falten erzählt und weitergegeben wird, die wir immer wieder versuchen, zu verstecken.

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2 thoughts on “Verlassene Orte sind keine Schandflecke!

  1. Vielen Dank für diesen Beitrag! Welch wahre Worte!
    Mir blutet immer wieder das Herz, wenn ich sehe, welche Meisterwerke der Baukunst im Stich gelassen werden und schlimmer noch: missachtet dem Vandalismus zum Opfer fallen.
    Wenn man sich die Neubauten anschaut, kann von Baukunst wahrlich nicht mehr gesprochen werden!

  2. Blockbauten aus der DDR. Gut, man muss dort nicht wohnen, wenn man nicht muss. Als ich 1984 in solch ein DDR-Blockbautenhaus oder auch „Platte“ gezogen bin, war ich mit meiner Frau glücklich. Vorher wohnte ich bei den Schwiegereltern im Hinterhaus, in einem Zimmer mit Frau und Sohn. Ofenheizung, ohne Balkon und das Klo eine halbe Treppe tiefer. Diese Ostplattenwohnung war demnach für uns ein Segen. Zentralheizung, Bad, eingebaute Küche, Balkon, so konnte damals ein Sechser im Lotto sein. Bitte nicht immer alles nur mit den Augen von heute betrachten. Man muss einen Plattenbau aus der DDR nicht lieben und kann ihn auch hässlich finden. Doch auch heute, nach der DDR, kann sich nicht jeder eine Traumvilla leisten und einige wollen das auch gar nicht. Übrigens, über Baukunst wurde schon immer gestritten. Verlassene Orte können für mich durchaus als Schandflecke gelten. Ein Gebäude wird zum Schandfleck, wenn es vergessen wird oder sich plötzlich keiner mehr darum kümmern will. Der Hamburger Hof in Meißen ist zum Beispiel erst ein Schandfleck geworden. Natürlich, das Gebäude selbst ist daran nicht schuld. Schuldig sind jedoch die, welche tatenlos zusehen, wenn ein Gebäude offenbar mit Absicht zum Zusammenbruch gebracht wird. Gruß von Reiner oder Numismatikus vom Triebischtaler

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