Samstagsspaziergang

Langeweile. Vorm Computer sitzen ist gerade äußerst öde. Keine Ideen im Kopf für Bild und Text. Also irgendwie raus aus der Bude. Heute geht es jedoch nicht ins ländliche, sondern mal in die Meißner Altstadt. Es findet ja heute der 1. Ostermarkt in Meißen statt. Mal sehen, wie es dort aussieht.

Schweren Schrittes und Mutes trete ich aus der Haustüre ins Freie. Vom Parkplatz an der Sprint-Tankstelle tönt bekannte Musik aus einem Auto , welches mit weit aufgerissenen Türen und ein paar jungen Kerlen herumsteht. Bushido? Richtig! Irgendeine alte Scheibe. King of Kingz wahrscheinlich – kaum zu glauben, dass ich so etwas mal angehört habe. Zu dieser Zeit war Bushido jedoch noch nicht so kommerziell wie heute. Da waren einige Texte noch richtig gesellschaftskritisch und ergaben ein wenig Sinn. Natürlich sollte das „ein wenig“ extra betont werden. Wer Bushidos Texte nur als frauenfeindlich und homophob kennt, und das sind viele, der sollte sich mal „Sternenstaub“ anhören.

Am Skaterpark wieder eine Zeitreise zurück in alte Zeiten. Ein paar Kinder unterhalten sich und ich höre immer einen Jungen zu einem anderen rufen: „Mulai! Eh, Mulai!“. Wer hatte von euch keinen Mulai im Freundeskreis? Mulais gab es eigentlich überall, wobei ich gar nicht mehr weiß, von welchem Namen dieser Spitzname überhaupt abgeleitet wurde.

Ich bin heute etwas verfangen in Gedanken, die mich nicht ganz los lassen. Ich mache Fotos, schreibe Texte und lerne immer wieder neue Leute kennen. Und das genau aus diesen beiden Gründen. Manche davon bleiben länger, manche verflüchtigen sich sofort und manche werden Freunde. Gute Freunde, die ich so nie kennengelernt hätte. Facebook sei Dank. Somit hat das eigentlich unsoziale Netzwerk doch seine Vorteile.

Ich bin am Heinrichsplatz angekommen. Ein paar Fressbuden stehen vorm Eiscafé Venezia. Fressbuden. Bestehend aus Kräppelchen und irgendetwas anderem. Fehlt eigentlich nur noch der Glühwein und es ist wieder Weihnachtsmarkt. Das Wetter passt ja ungefähr, war es doch über Weihnachten ähnlich. Es gibt natürlich ein paar Stände von Gärtnereien, die sicherlich mehr als skeptisch sind, ob sich das hier lohnt.

Auf dem Markt ein ähnliches Bild. Also bildlich ist es wirklich schwer, hier irgendetwas mit Ostern in Verbindung zu bringen. Eigentlich fällt hier wieder nur die große Fressbude auf, an der ein großes rotes Schild mit der Aufschrift „Lagos“ mir entgegen schillert. Am Eingang der Vinothek vom Weinhaus Schuh lenkt mich ein herrliches Bild von dem eher tristen Ostermarkt ab. Ein schwarzer Hund liegt im Eingang und passt irgendwie zur schönen Wein- und Osterdeko. Tja, hier hat man sich Mühe gegeben, unabhängig vom Hund natürlich.

Ich verzieh mich ein wenig aus dem Getümmel und gehe über die Frauenstufen in die Leinewebergasse. Eigentlich ist das die schönste Gasse Meißens. Zwar wurde Hintermauer dazu auserkoren, aber fotografisch gesehen ist Hintermauer einfach mal gar nichts, leider. Das sieht in der Leinwebergasse schon anders aus. Außerdem habe ich heute das Glück, dass keine Autos herumstehen, die mir das Bild versauen. Ein sehr seltenes Phänomen. Am Atelier König fehlen scheinbar immer noch die Engel die in einer Nische standen und geklaut wurden. Es ist schon sonderlich, mit wie wenig Geist manche Menschen gesegnet wurden. Aber was reg ich mich auf.

Ich bin heute nicht in der Stimmung, um mich aufzuregen. Heute bin ich eher Müßiggänger. Der Müßiggänger. Was für ein negativ besetztes Wort im neoliberalen Zeitalter, wo jeder schneller, besser, schöner und intellektueller als der anderer sein will und so nie zur Ruhe kommt. Aber ohne Müßiggang wenig Kreativität und schöpferische Kraft. Den Kopf frei von dem ganz Alltagsmüll bekommen. Unsinnige Strapazen abwerfen, die scheinbar die Hirnwindungen vieler vernebeln lassen, die dann einem Künstler drei Engel klauen. Dann diese Karrieristen. Auf der Leiter stehend ohne ein Ende in Sicht. Ständig nach jedem Strohhalm greifend, um ja keine Gelegenheit des katzbuckeln zu verpassen. Und wer unter ihnen auf der Leiter steht? Da gibt es saftig eine mit dem Stiefel voll auf die Zwölf.

Was reg ich mich auf. Ok, das sagt schon immer Hagen Rether. Den Kabarettist Hagen Rether sollte man kennen. Ein brillanter, spitzfindiger Gesellschaftskritiker mit Hang zur Fleisch-Phobie. Das nervt dann manchmal, aber sonst ein brillanter Typ. Der hätte hier in Meißen auch einiges, was er in seine Show aufnehmen könnte.

Am Schlossberg treffe ich ebenfalls auf einen Müßiggänger. Ein Kater, schwarz-weiß, lungert müßig auf einer Mauer herum und tut nichts außer die Gegend zu beobachten. Tiere sind Müßiggänger, vor allem Katzen. Die lassen sich dazu noch bedienen von uns! Überlegt mal. Es interessiert auch niemanden, wie die Katze farblich aussieht. Katze ist Katze. Die ist hilflos, falls Streuner, und der muss geholfen werden. Die wird sofort aufgenommen oder zumindest gefüttert. Eigentlich sind das in unserer heutigen Gesellschaft die größten Schmarotzer. Die könnten wenn sie nur wollten ihre Maus alleine fangen, keine Frage. Aber scheinbar haben wir so viel übrig, dass uns das gar nicht weh tut.

Ich mach mich auf den Heimweg. Dabei möchte ich die Fischerhäuser besuchen. Sie liegen ja direkt auf dem Weg, wenn ich über die Eisenbahnbrücke zurück nach Meißen Cölln will. Über die Hochuferstraße geht es genau dort hin. Vorbei am Schlemmereck – was fällt euch zum Schlemmereck ein? Mir fällt zum Schlemmereck, oder allgemein zum Anfang der Siebeneichener Strasse, einfach nur DDR ein. DDR. Das nächste brachiale Schimpfwort in einer vom Geld bestimmten Illusion. Habt ihr ein Teil eurer Kindheit in der DRR verbracht? Ich bis zur zweiten Klasse. Das war schon eine Qual in der DDR. Wir hatten ja nichts. Keine Fernsehsender, keine Bananen, nichts. Habt ihr Bananen und RTL vermisst? Ich nicht. Ich hatte eine unbeschwerte Kindheit mit genug zu essen und jede Menge Freizeitmöglichkeiten.

Wir hatten sogar einen Pool im Kindergarten, wo man sich im Sommer erfrischen konnte. Gibt es heutzutage leider nicht mehr. Es könnte ja jemand drin ertrinken. Deshalb gibt es vielleicht auch kein Freibad mehr in Meißen. Das muss man sich mal vorstellen. Es könnte jemand ertrinken. Ja, es könnte auch sein, dass ich morgen von einem Auto überfahren werde. Gehe ich deswegen morgen nicht mehr raus? Wir hatten nichts zu essen? Oma hatte einen riesengroßen Garten mit so großen und leckeren Erdbeeren, dass man nichts anderes hätte essen wollen. Bohnen, Gurken, Tomaten, Pfirsiche gab es ebenfalls zu genüge. Und man konnte sich bedienen, wann man wollte. Und es gab einen großen Sandkasten im Garten. Gut, ok, da hat manchmal der Hund rein gemacht. Na und? Das machte sich zwar nicht so gut in den Förmchen, aber gestorben ist daran niemand.

Uns DDR-Kindern ging es schon richtig dreckig. Kein MC Donalds, was uns krank machte, kein Fernsehen, was uns seicht berieselte und was die Demenz schon im Kindesalter förderte. Aber man hat gesehen, was so was aus Menschen macht, denen die Propagandamaschine Fernsehen und die Trägheit fehlt. Die haben sich aufgelehnt. Gegen das Regime. Gegen die, die die offensichtlichen Missstände in der DDR zu verantworten hatten. Da gab es genug, keine Frage. Kaum zu glauben und heute unvorstellbar. Heute redet ja jeder von der Propaganda in der DDR. Mit was denn? Mit ein paar TV-Sendern, die selten ordentlich empfangen werden konnten? Heute werden wir mit tausenden Sendern und Zeitschriften bombardiert. Dort passiert natürlich keine Propaganda. Nein, die sind natürlich alle unabhängig. (zwinker)

Jetzt habe ich hier so viel geschrieben. Die Fischerhäuser habe ich natürlich trotzdem besucht.  Ich weiß jetzt nicht genau welche Hausnummer, aber der Eingang eines Fischerhauses war besonders schön geschmückt und gestaltet. Sozusagen ein Gegenpart zum DDR-Grau ein paar Meter weiter vorn. Denn alles schön und bunt war es in der DDR eben auch nicht. Aber wie sagt man so schön? Nicht nur in Schwarz-Weiß-Denken, sondern auch das grau und bunte betrachten.

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2 thoughts on “Samstagsspaziergang

  1. Nun komm schon, dieser Tag war doch voller Kreativität! Tolle Story, klasse Fotos, reicht doch!
    Vor allem bist Du einer Katze begegnet. Für mich immer ein fotogenes Model. dafür solltest Du dankbar sein. Eine Katze hat noch viele uns unbekannte Gesichter, welche wir ausgiebig studieren sollten. Sie lässt sich nicht einfach dressieren und abrichten, sondern wird ihre Persönlichkeit nicht so leicht aufgeben.

    Thema DDR: Eben da wir ja alle früher unfrei, versklavt und geknechtet waren, fällt uns heute so vieles leichter. Ich habe mich gern für Russisch Brot angestellt.

    Gruß Numismaticus

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