Lost Places: Die Tragik des Verfalls

Wenn ich einen Raum dieser Häuser betrete, an denen die alte Tapete sich von alleine von den Wänden schält und alte Ölfarbe von den Sockeln abblättert, dann widerfährt meinem Körper ein komisches Gefühl. Wer hat hier einst gewohnt? Welche Schicksale, aber auch glückliche Zeiten wurden hier von Menschen verlebt. Manchmal ist erkennbar an dem Muster der Tapeten, dass man sich gerade in einem einstigen Kinderzimmer befindet. Das Kind, was einst hier lebte, dürfte längst groß, wenn nicht gar alt sein.

Auf dem Fußboden liegt eine Zeitung. Neues Deutschland von 1967. Das sozialistische Organ der damaligen SED. Ein Propagandablatt erster Güte und sicher noch vielen bekannt. In Vietnam tobt zu dieser Zeit der Vietnamkrieg. Der Student Benno Ohnesorg wird in West-Berlin von einem Polizisten erschossen. Che Cuevara wird ohne Gerichtsverhandlung von einem bolivianischen Feldwebel erschossen. Rassenunruhen breiten sich im ganzen Süden der USA aus. Daraufhin verweigert der Boxer Muhammad Ali den Kriegsdienst in Vietnam.

Krieg und Elend also. Hat sich ja nicht viel geändert. Alle schießen sie sich über den Haufen und wollen demonstrieren, dass sie dadurch etwas Besseres sind. Macht mit Waffengewalt demonstrieren. Eine ekelhafte Angewohnheit angeblich zivilisierter Menschen. Oder retten Kriege mehr leben, als sie zerstören? Ein kompliziertes Thema.

Bei diesem nass kühlem Wetter und Gedanken wirken die Räume in einer noch bedrückenderen Atmosphäre. Wenn Gebäude offen stehen und teilweise Wind und Wetter ausgesetzt sind, bekommen sie diesen melancholischen Touch aus einstigem Leben und Verfall. Schimmel, Nässe und Kälte machen mit Menschenhand geschaffenes kaputt, ohne sichtbar daran zu arbeiten. Es wirken keine sichtlichen Kräfte auf das Mauerwerk und trotzdem zerfällt es. Wie Geisterhand fällt irgendwann die Tapete ab. In den Dachrinnen und anderen Orten graben sich Wurzeln tief durch das Mauerwerk. Der Putz löst sich von den Wänden, Decken stürzen ein und irgendwann stehen nur noch Mauerreste, die immer mehr überwuchert und überwachsen werden.

Dann erinnert nichts mehr an den einst lebendigen Ort. Menschen, die einst hier lebten und Zeit verbrachten, die hier wohnten, aßen, liebten, stritten, Kinder groß zogen und diese aufwachsen sahen. Das alles zerfällt doch in einer gewissen Art und Weise mit. Erinnerungen an schöne Zeiten sind doch verbunden mit dem Umfeld, in dem diese Zeit stattgefunden hat.

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